Gletschereis. Es ist eines dieser ekelhaften Gletschereisbonbons, die alle so lieben, außer ich. Mein Opa kramte früher immer eines dieser Dinger aus dem hinteren Teil seines kleinen Schnapsschrankes, wenn sonst keine Süßigkeiten im Haus waren. Man musste die alten Bonbons regelrecht aus der Folie puhlen und hatte man es dann endlich geschafft, schmeckten sie nach muffigem, alten Holzschrank. Die Konsistenz vom jetzigen Bonbon lässt mich erahnen, dass auch dieses schon länger in ihrer Handtasche verweilte. Aber es war von ihr und allein das war Grund genug meinen Würgereflex zu unterdrücken. Ja, ich lutschte ein Bonbon von ihr. Von ihr? Mir fällt erst jetzt auf, dass ich sie gar nicht nach ihrem Namen gefragt habe. Scheiße, wie unhöflich.
Ich versuche meine müden Augen ein letztes Mal zu kontrollieren und meinen Kopf zu heben um sie nach ihrem Namen zu fragen. „Hey, ich Arsch hab noch gar nicht gefragt wie du heißt. Ich bin Felix.“ Sie lächelt, neigt ihren Blick erst nach unten, dann nach oben, streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr und antwortet „Noomi“. Noomi, flüstere ich leise vor mich hin und schieb dabei das Bonbon im Mund von einer Seite auf die andere.
Plötzlich spüre ich einen harten Stoß im Rücken. „He, Flix du Wichser. Ich hab dich überall gesucht. Sag mal, hast du gekotzt?“, es ist Fabian der Penner. Der hat mir gerade noch gefehlt. Er mustert Noomi von oben nach unten, bleibt mit seinen Augen an ihrem Ausschnitt hängen und äußert dabei eines seiner perversen Pfeifgeräusche. Ich stoß ihm mit den Ellbogen kräftig in die Rippen. „Ist ja schon gut, kotzender Romeo. Ich lass euch alleine.“, sagt Fabian, dreht sich um und hüpft schreiend zurück in die Disco.
„Ich glaub ich hab dich hier noch nie gesehen, kann das sein?“, sage ich mit zögernder Stimme um das Gespräch in die Gänge zu bringen. Etwas Besseres ist mir leider nicht eingefallen. Ich Dummkopf. Vielleicht hätte ich mir echt ein paar blöde Sprüche vom Fickmeister Fabian merken sollen. Naja. „Ja, das stimmt. Konntest du aber auch gar nicht. Ich bin erst vor kurzen wieder nach Deutschland gezogen. Die letzen fünf Jahre haben meine Eltern, meine beiden Brüder und ich in Stockholm gewohnt. Meine Mama ist Schwedin.“, antwortet Noomi.
Das erklärt natürlich einiges. Ihre schwedische Abstammung lässt sich nur schwer verleugnen und als sie ihren Namen gesagt hat, habe ich mir schon gedacht, dass er nach hohem Norden klingt. Toll. Eine geheimnisvolle, schöne, Unbekannte aus Stockholm. Sie ist also noch gar nicht vorbelastet und hat dann wohl auch nichts von meinem kleinen Magen und Darmzwischenfall in der Schule mitbekommen. Ich hab es aber auch mit Körperflüssigkeiten. Am besten esse ich einfach gar nichts mehr, dann kann oben schon nichts mehr rauskommen und unten dann irgendwann auch nicht mehr. Meine Gedanken schweifen ab und ich habe nicht bemerkt, dass sich ein weiteres Mädchen zu uns gestellt hat.
„Das ist Meja, meine schwedische Cousine. Sie hat gerade Ferien und wollte sich mein neues zu Hause anschauen. Meja, detta är Felix. „. Ich bringe nur ein kurzes „Hi“ raus. Eigentlich wollte ich doch mit Noomi alleine sein, aber beim Anblick von Meja, hab ich mir gleich gedacht, die wär etwas für Fabian. Meja schaut mich an, grinst und murmelt irgendetwas auf Schwedisch in Noomis Ohr. Toll, hätte ich in der Zehnten doch besser den freiwilligen Schwedischkurs belegt. Das ist jetzt die Strafe. Noomi fängt über Mejas Gemurmel an zu lachen und mir wird dabei ganz warm ums Herz. Wie schwul, aber ich glaube ich habe mich längst in sie verknallt. Das letzte Mal erging es mir so bei Nina und mit ihr war ich drei Jahre lang zusammen. Bis mein damaliger bester Kumpel Thomas sie nach einer Party flachgelegt hat. Der Pisser. Naja. Oder ist es bei Noomi nur der Alkohol? Nein, ich denke nicht.
„Du, wir gehen jetzt. Da drinnen läuft nur komische Musik und es ist auch ziemlich laut.“, sagt Noomi und dieser Satz macht mich jetzt vollkommen nervös und bringt mich ins straucheln. Wäre ich ein wirklich cooler Typ und hätte anständige Eier in der Hose, würde ich sie einfach nach ihrer Nummer fragen, oder sie gleich einfach küssen, aber das kommt wohl ohne Zähne putzen jetzt nicht so gut an. Das Gletschereisbonbon war schon eine ganze Weile aufgelutscht und so eklig ich diese Dinger auch finde, sehne ich mich nach einem weiteren um nur ansatzweise einen frischen Atem zu haben.
„Ähm, also wenn es euch nur zu laut ist, hier in der Nähe gibt es einen See. Da kann man es sich recht gut gemütlich machen. Wir gehen da oft hin, wenn es uns hier zu blöd wird. Vielleicht habt ihr ja Lust auf einen kleinen Umweg. Ich kann Fabian auch noch schnell Bescheid sagen.“
Noomi übersetzt mein Geschwafel und irgendwie find ich Schwedisch auf ein Mal ziemlich sexy. „Ok, aber nicht lang.“, willigt Noomi ein und ich greife sofort zu meinem Handy um Fabian eine Notfallsms zu schreiben. „Fabs, zwei heiße Schwedinnen wollen mit uns zum See! Beeil dich und zieh noch ne Packung Kaugummis. Gehen schon vor.“