In der Leere eines schwarzen Lochs

Wie oft schon hatte ich so ein Gesicht gesehen. Es war nicht Schmerz verzehrt. Es trug keine Trauer. Kein Hass. Oder eines der tausend anderen Gefühle die in so einer Situation angebracht wären. Es blickte einfach leer. Ausdruckslos. Teilnahmslos und völlig versteinert. Die Muskeln die normalerweise nur die kleinste Regung hervorbringen sollten hingen schlaff unter der fahlen, bleichen Haut und ließen erste Falten auf dem sonst so makellosen Gesicht erscheinen. Ich musste weg sehen.

Ich konnten es nicht ertragen. Diesen Blick der durch mich hindurch sieht. Die Wand hinter mir fixiert. Möglicherweise das Bild welches immer noch dort hängt, da ich es nicht abnehmen konnte. Oder Die Stadt hinter der Wand. Die Stadt die nichts weiß von alle dem was passiert ist. Die Stadt die einfach weiter lebt. Die Stadt die schon lange vorher hier war und auch noch lange danach bleiben wird. Die Stadt die schon vergessen hat – weil sie nie wahrnahm. Ich schlucke.

Ich blicke wieder in das Gesicht. Die Augen sind starr. Sie bewegen sich nicht. Fixieren nicht. Suchen nicht. Müssen sie auch nicht. Es gibt nichts mehr zu finden. Ich versuche in ihnen etwas zu erkennen. Einen Funken Leben. Ein Stück Hoffnung. Aber dort war nichts. Nur ein schwarzes Loch in dem alle Gefühle eintauchten und eine Leere hinterließen auf die Michael Ende stolz gewesen wäre. Ich verzweifle.

Was mochte wohl in dem Kopf vorgehen. Leere? Gedankensturm? Chaos? Ordnung? Schizophrenie? Man konnte es nicht heraus lesen. Dieser Blick war schlimmer als Hass. Egalität in seiner reinsten Form. Alles was gewesen war wurde mit diesem Blick einfach ausradiert. Erinnerungen? Nicht im Ansatz. Aber was würden sie schon bringen? Was bringt der letzte Brotkrumen im überfüllten Rettungsboot? Verzweiflung. Hass. Wut. All das suchte ich vergebens.

Man sagte es wird schon wieder besser werden. Es wird wieder Leben in die Augen kommen. Die Mundwinkel würden auch wieder in Richtung Himmel deuten und die strahlenden Zähne zeigen. Wann? Das wusste niemand. Nicht einmal ich. Zu oft schon hatte ich in letzter Zeit in dieses Gesicht gesehen. Ich ertrug es nicht mehr. Wollte nicht mehr länger in dieses Gesicht sehen. Entweder ging es. Oder ich. Aber so war es nicht mehr auszuhalten. Mühsam blinzelte ich die Tränen aus meinen Augen und schlug mit der bloßen Faust den Spiegel vor mir in tausend Teile.

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Vom Durchqueren einer Sackgasse

Im Anbetracht der Tatsache das er nun wieder alleine die Wege seines Lebens bewandern musste, war es auch nicht verwunderlich dass er sich seit langer Zeit mal wieder gemeldet hatte um die Nacht mit zu viel Billigschnaps und Zigarillos von Aldi, in einem Wohnzimmer eines kleinen, verschlafenen Vororts seiner Heimatstadt zu verbringen. Vergessen ist so schwer wenn man sich nicht erinnern will. Die Gesprächsthemen sprangen von lustigen Anekdoten aus der gemeinsamen Unizeit hin zum aktuellen Tagesgeschehen und wieder zurück. Ablenkung aus dem Lehrbuch. Bravurös mit der Unterstützung verschiedenster russischer Präsidenten gemeistert.

Der wahre Grund des Besuches, die dunklen Wolken die hinter seinen Augen hingen, wurde lange verschwiegen. Erst als die UDSSR gefallen und die Anarchie von Übersee her eingeläutet wurde, fing er an die Wolken zu lichten. Erst langsam, wie während der Ruhe vor dem Sturm, steigerte sich die Anzahl der Tropfen zu einem Monsun aus Gefühlen, Verzweiflung, Eingeständnissen von Fehlern und Hasstriaden. Erkenntnis im Spießertum. Die letzte Bastion der alteingesessenen Werte der Gesellschaft seines Heimatlandes verhalf ihm zum Befreiungsschlag gegen seine Gefühle. Die perfekte Paradoxie. Waren doch dies die Werte und Eigenschaften die ihn zur Weißglut brachten.

Die Gedanken und Worte die er in seinem Wahn ausgespien hatte hingen schwer in den Rauchschwaden der abgebrannten Glut. Der Berg aus Asche, Dreck und kaltem Rauch spiegelte das Hier und Jetzt seiner Seele perfekt in der Mattheit des kalten Stahls auf dem Wohnzimmertisch. Abgebrannt und ausgelöscht klebten die Reste der letzten Jahre wie verbranntes Plastik an ihm und machten es unmöglich den Schmerz über die Situation in Worte zu fassen. Hätte er seine Gedanken fassen können, hätte er verarbeiten könnten, aber alles was er hervor gebracht hatte, waren Worthülsen des Unverständnisses über seine eigenen Handlungen.

Ein Unverständnis, welches im Keim die Wahrheit der absoluten Erkenntnis über die eigenen Fehler spiegelte, verwischte das Bild der Realität zu einem Gemälde von Van Gogh, welches er doch nicht verstehen konnte. Die Gedanken drehten sich gegen den Uhrzeigersinn zu einer scheinbar besseren Zeit zurück. Die Augenblicke in denen er Situationen und Momente als perfekt empfunden hatte vermengten sich zu einem ewigen Schwarz/Weiß Film aus einer längst vergangenen Generation. Ohne Ton und leicht vergilbt zogen die Bilder an seinem inneren Auge vorbei. Regungslos, ohne die Unterstützung berühmter Namen, begann er im Abspann die Realität wahrzunehmen.

Die Jalousien des Reihenhauses begannen sich unter dem ersten Sonnenlicht des anbrechenden Tages zu heben und brachten die Farbe zurück in seine noch dumpfe Lethargie der letzten Stunden. Die Sonne und der kühle Morgen als Antagonisten einer schnapsgeschwängerten Nacht brachten ihn ironischerweise zum Lächeln. Es wurde Zeit zu gehen, und obwohl er in der vergangenen Nacht nichts Vergessen und sich doch vielmehr erinnert hatte, lief er befreit mit dem Licht der aufgehenden Sonne im Rücken und der Erkenntnis, dass nicht jeder Abschied zwangsweise auch ein Wiedersehen bedeutet, hinaus in das Licht eines neuen morgens.

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Ein Milchkaffee

Ein Café. Frühling. Spätnachmittag. Die untergehende Sonne spiegelte sich sanft in der Fensterfläche und tauchte ihre Erscheinung in eine Mischung aus Gold und Gelb. Honig. Die Augen immer mal wieder leicht zusammengekniffen von den Strahlen der Sonne so dass er ihre tiefen braunen, oder waren es grüne, Augen kaum noch erkennen konnte, umspielte ein verschmitztes Grinsen ihren Mund. Hoffnung stieg in ihm auf. Sie lächelte. Der Witz war angekommen. Er gönnte sich einen Schluck von seinem Milchkaffee. Er trank nur wenig, da jedes Anheben der Tasse damit verbunden war, dass er ihr Gesicht für wenige Sekunden aus seinem Blickfeld verlor.

Das Gespräch entwickelte sich von selbst. Arbeit. Studium. Belanglosigkeiten. Er genoss es. Hörte zu. Erwiderte. Machte Witze. Immer wieder konnte er ein Lächeln auf ihre Lippen zaubern. Ihr Lachen. Strahlend. Offen. Ehrlich. Der Kaffee war langsam kalt. Er hatte ihn total vergessen. Er erzählte von seinem Studium. Was er danach vorhatte. Erst einmal ins Ausland, das macht man heute ja so. Wohin? Er wusste es nicht. Er sagte: einfach raus. Neues kennen lernen. Sie lächelte. Sie kannte das Gefühl. Er dachte: oder aber hier bleiben. Bei ihr. In dieser Sekunde. Diesem Moment. Er sprach es nicht aus. Kaffee.

Die Sonne verschwand hinter den Häusern in seinem Rücken und gab die Fensterfront frei. Er blickte in ein Café voller Menschen. Geschäftspartner. Freunde. Pärchen. Ihr Gesicht verschwamm in der Unschärfe des Vordergrunds. Im Innenraum wechselte ein Stück Kuchen auf einer Gabel die Tischseiten. Anfangsstadium. Glück. Er löste seinen Blick und sah sie an. Sie hatte kurz ihr Handy rausgeholt. Bestimmt nur die Uhrzeit. Wollte sie los? Kurz ein Schluck Kaffee. Mittlerweile kalt. Er atmete tief durch und nahm all seinen Mut zusammen. Du sag mal, setzte er an. Im selben Moment hörte er sie sagen: Mein Freund hat gerade… Oh entschuldige du wolltest was sagen? Er wusste es. Trotzdem. Leere. Ach nichts, hörte er sich sagen. Hob seine Tasse und trank in Ruhe seinen Kaffee aus.

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The last time I commited suicide

Die Leere hatte seit Wochen Besitz von ihm ergriffen. Nur die Hülle, die paar Millimeter Zellstruktur, die seinen Körper vor der Außenwelt schützten, wurden noch bewirtschaftet. Der Rest seines Körpers hatte auf Notstrom zurück gefahren. Freude, Glück, Spannung oder Anstrengung – nichts mehr war ihm geblieben außer der Leere. Nicht einmal Schmerz drang noch durch die Wand aus Gefühlsabfällen die seinen Körper umgab.

Die Gefühle, die er normalerweise gehabt hätte, musste er aussperren. Er konnte sie nicht mehr ertragen. Sie bissen sich in seinen Synapsen fest und markierten jeden Gedanken als ihr Eigentum indem sie ihm ihre ganz eigene Note verpassten. Er konnte nicht einmal gegen sie ankämpfen. Das hatte er beim letzten Mal versucht. Die Narben dieser Schlacht trug er immer noch mit sich herum. Innerlich und äußerlich.

Er konnte also nur weiter machen wie es war. Ausschalten. Abschalten. Weiter machen. Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Irgendwie. Hoffte er. Irgendwann. Flehte er. Aber tief unten, so weit unter der Hülle, dass kein Angriff dort jemals hinkommen würde, wusste er das es zu spät war. Er wusste was er würde tun müssen. Reset. Auf Anfang. Die Treppe nicht hinunter gehen. Nein, er musste springen. Selbstmord auf Raten. Eine Weitere war fällig geworden.

Er hob den Kopf. Sah ihr in die Augen und begann zu sprechen.

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Vorfreude

Die Drehungen der Welt um ihn herum passierten so schnell, dass er seine Umgebung nur noch als wirren Farbkreisel wahrnahm. Während sich die Erde in diesem ungeheuren Tempo auf seinen Augen kreiselte, wurde ihm die Tragweite dessen bewusst was gerade passierte. Seine Synapsen jedoch transportierten unter diesen Umständen alle Reize, die nichts mehr der Außenwelt zu tun hatten, mit einer ungeheuren Verzögerung. Er wollte schreien, aufwachen oder besser noch die Zeit zurück drehen. Aber es war zu spät. Der Gedanke an das Ereignis welche er verpassen sollte erreichte seine Synapsen erst, nachdem ihm bereits schwarz vor Augen geworden war.

Der Anruf erreichte ihn irgendwann gegen Mittag. Endlich. Wie eine aufgedrehte fünf Jährige in der Barbieabteilung des Spielzeugladens war er den kompletten Vormittag auf seinem Stuhl hin und her gerutscht, hatte sich nicht auf seine Kollegen konzentrieren können und auch sein Chef meinte irgendwann das er doch besser nach Hause fahren solle, bevor er noch die ganze Abteilung verrückt mache. Aber dann kam der Anruf. Wie lange hatten sie, besonders er, auf diesen Moment gewartet. Die letzten sechs Jahre hatten sie es immer wieder probiert, hatten die Hoffnung schon aufgegeben überhaupt irgendwann mal Nachwuchs zu bekommen und jetzt das.

Endlich waren die neun Monate Warten vorbei. In diesen neun Monaten hatte er sich seit langer langer Zeit mal wieder wie ein Kind zu Weihnachten gefühlt. Es war das tollste Geschenk was er je bekommen sollte, zu mindestens in seinen Augen. Natürlich gab es auch Kollegen die anders dachten, aber was wussten die schon, die hatten ja alle keine Ahnung. Waren eh fast alles Singles. War ja klar! Nachdem er seinem Chef zugerufen hatte, das es endlich so gut wie da ist und er nun los müsse, hatte dieser nur freundlich gelächelt. Ob nun wegen des Babys oder weil er nun endlich weg war, das wusste er nicht. War ihm aber auch egal.

Er sprang in seinen Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Die Vorfreude auf sein Kind malte ihm ein dauerhaftes Lächeln ins Gesicht. Er hatte das Radio voll aufgedreht. Es lief “The Worlds Greatest” von R. Kelly. Die Sonne schien an einem milden Sommertag. Es war der perfekte Tag. Alles was fehlte war seine Sonnenbrille. Lächelnd und mitsingend hielt er das Lenkrad locker in einer Hand und suchte mit der anderen, zum Handschuhfach gebeugt, nach seiner Sonnenbrille. Als er sie gerade aufsetzten wollte, sah er die Kurve zum Krankenhaus in seinm Augenwinkel erscheinen.

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Die Scherben gebrochener Herzen

Mit unüberhörbaren Tönen kratzt die Füllfeder über das noch bleiche Pergament und hinterlässt schwarze, geschnörkelte Spuren der Trauer und der Verzweiflung. Ohne auch nur einmal abzusetzen schwebt die zarte, dürre Hand von Zeile zu Zeile und lässt die dunkle Tinte mit dem hellen Papier verschmelzen. Ein kurzer Blick in den Standspiegel: Das schwarze, sonst so lebhafte, lockige Haar hängt wie ein beklemmender, schwerer Vorhang auf Ihren Schultern. Die Haarspitzen kleben an ihren Wangen, getränkt durch die Tränen, die sie immer und immer wieder vergossen hatte und sich nun in Ihren Gesicht mit der Schminke zu einem dunklen Farbklecks vermischt hatten. Die Augen, wässrig und starr.

Schreiben – Einfach Schreiben. Sie hört immer noch die Worte Ihres Psychologen laut und deutlich in Ihrem Kopf pochern. Durch das Schreiben kann man Emotionen und Gefühle, Schmerzen und Kummer, Trauer und Verzweiflung am Leichtesten verarbeiten – hieß es. Doch sie glaubt an gar nichts mehr. Sie schreibt und schreibt, die dünne Federspitze ritzt langsam kleine schwarze Löcher, erst in das Pergament, dann in die holzerne Tischplatte. Zeitgleich weiß sie, dass es Ihr nicht helfen kann und wird. Warum auch? Was soll Sie mit ihrem Leben auch noch Sinnvolles anfangen? Der Traum Ihrer Zukunft war zerplatzt, das bis vor einiger Zeit noch glühende und mit Liebe erfüllte Herz war nun leer, gebrochen und mit dem Schatten der eisigen Kälte überdeckt.

Dies sind Ihre letzten Schritte auf dem Weg, den stechenden und brennenden Schmerz endlich zu besiegen – Endlich mit der Vergangenheit und dem Mann Ihrer Träume abzuschließen. Sie ist bereit. Bereit für ein neues Leben ohne Trauer und ohne Schmerz. Langsam faltet Sie das Pergament mit den Botschaften Ihrer Seele zusammen und lehnt es gegen die Flasche Rotwein. Der seiderne Vorhang am offenen Fenster weht in gleichmäßigen Abständen und der frische Abendwind kitzelt Ihre Nase. Dieser Schritt würde Ihr letzter sein, den Rest erledigt die Schwerkraft.

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