Vom Durchqueren einer Sackgasse

Im Anbetracht der Tatsache das er nun wieder alleine die Wege seines Lebens bewandern musste, war es auch nicht verwunderlich dass er sich seit langer Zeit mal wieder gemeldet hatte um die Nacht mit zu viel Billigschnaps und Zigarillos von Aldi, in einem Wohnzimmer eines kleinen, verschlafenen Vororts seiner Heimatstadt zu verbringen. Vergessen ist so schwer wenn man sich nicht erinnern will. Die Gesprächsthemen sprangen von lustigen Anekdoten aus der gemeinsamen Unizeit hin zum aktuellen Tagesgeschehen und wieder zurück. Ablenkung aus dem Lehrbuch. Bravurös mit der Unterstützung verschiedenster russischer Präsidenten gemeistert.

Der wahre Grund des Besuches, die dunklen Wolken die hinter seinen Augen hingen, wurde lange verschwiegen. Erst als die UDSSR gefallen und die Anarchie von Übersee her eingeläutet wurde, fing er an die Wolken zu lichten. Erst langsam, wie während der Ruhe vor dem Sturm, steigerte sich die Anzahl der Tropfen zu einem Monsun aus Gefühlen, Verzweiflung, Eingeständnissen von Fehlern und Hasstriaden. Erkenntnis im Spießertum. Die letzte Bastion der alteingesessenen Werte der Gesellschaft seines Heimatlandes verhalf ihm zum Befreiungsschlag gegen seine Gefühle. Die perfekte Paradoxie. Waren doch dies die Werte und Eigenschaften die ihn zur Weißglut brachten.

Die Gedanken und Worte die er in seinem Wahn ausgespien hatte hingen schwer in den Rauchschwaden der abgebrannten Glut. Der Berg aus Asche, Dreck und kaltem Rauch spiegelte das Hier und Jetzt seiner Seele perfekt in der Mattheit des kalten Stahls auf dem Wohnzimmertisch. Abgebrannt und ausgelöscht klebten die Reste der letzten Jahre wie verbranntes Plastik an ihm und machten es unmöglich den Schmerz über die Situation in Worte zu fassen. Hätte er seine Gedanken fassen können, hätte er verarbeiten könnten, aber alles was er hervor gebracht hatte, waren Worthülsen des Unverständnisses über seine eigenen Handlungen.

Ein Unverständnis, welches im Keim die Wahrheit der absoluten Erkenntnis über die eigenen Fehler spiegelte, verwischte das Bild der Realität zu einem Gemälde von Van Gogh, welches er doch nicht verstehen konnte. Die Gedanken drehten sich gegen den Uhrzeigersinn zu einer scheinbar besseren Zeit zurück. Die Augenblicke in denen er Situationen und Momente als perfekt empfunden hatte vermengten sich zu einem ewigen Schwarz/Weiß Film aus einer längst vergangenen Generation. Ohne Ton und leicht vergilbt zogen die Bilder an seinem inneren Auge vorbei. Regungslos, ohne die Unterstützung berühmter Namen, begann er im Abspann die Realität wahrzunehmen.

Die Jalousien des Reihenhauses begannen sich unter dem ersten Sonnenlicht des anbrechenden Tages zu heben und brachten die Farbe zurück in seine noch dumpfe Lethargie der letzten Stunden. Die Sonne und der kühle Morgen als Antagonisten einer schnapsgeschwängerten Nacht brachten ihn ironischerweise zum Lächeln. Es wurde Zeit zu gehen, und obwohl er in der vergangenen Nacht nichts Vergessen und sich doch vielmehr erinnert hatte, lief er befreit mit dem Licht der aufgehenden Sonne im Rücken und der Erkenntnis, dass nicht jeder Abschied zwangsweise auch ein Wiedersehen bedeutet, hinaus in das Licht eines neuen morgens.

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Spurensuche

Ich zeichne auf den Wegen eine dünne Spur aus Sand,
das Zeugnis meines Lebens ein Rinnsal aus der Hand,
Das Bild eines Charakters und der Steine die er sah,
ich lief Meile um Meile ohne zu wissen wo ich war,
Die Worte die mich prägten, die Menschen die ich traf,
Das Glashaus wo ich wohnte, die Steine die ich warf,
das was ich halten wollte und das was ich behielt,
aus vielen kleinen Steinen wird irgendwann ein Mosaik.

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Die Brücke

Nach dem Abbrennen der Kerzen verfiel das kühle Zimmer in Dunkelheit. Ihre dumpfen Schritte glitten über das Pakett, mit einem Ruck schloss sich hinter ihr die hölzerne Wohnungstür. Ein frischer Abendwind wehte ihr durchs strubbelige Haar. Die schwere Jacke wurde zugemacht, der Kragen an den Hals gepresst. Die selbstgedrehte Zigarette glimmte auf und der Rauch beruhigte ihre Sinne. Vorbei an den Lichtern der Fenster hinein in die Schwärze der Nacht. Scheinwerferlicht begleitete ihre Silouette, Sekunde für Sekunde wanderte ihr Schatten einen Schritt voraus, während die offenen Schnürsenkel immer und immer wieder in die dunklen, verdreckten Pfützen eintauchten.

Das Rascheln der Laubbäume verstimmte je näher sie dem Ende der pechschwarzen Allee kam. Als sie langsam auf der Brücke ankam, nahmen die Motorengeräusche zu. Die stark befahrene Brücke glich einer Spielweise für weiße und rote Lichter, die in der Dunkelheit der Nacht verschnörkelte Lichtspiele in die Luft prohezierten. Sie suchte sich die mittigste Stelle des gewaltigen Stahlmonsters und schnippste den angekokelten Filter herunter. Langsam umfasste sie die von Rost zerfressenen Geländer, die noch frischen Wunden an den Armen ziepten dabei leicht. Die Geländer fühlten sich rau und kalt an. Unter ihr erstreckte sich das monströse Loch einer undefinierbaren Tiefe in der Dunkelheit. Langsam ließen ihre Finger das Eisen los. Ihre Füße stellten sich auf den untersten Geländerrand, welcher rutschig und morsch wirkte. Sie atmete tief und langsam die frische Brise des anhaltenden Windes ein. Der seltsam ruhige Körper neigte sich langsam nach vorne und ihre Brust wurde gegen die Stahlpfosten gedrängt. Sie schloss die Augen, atmete langsam ein und hielt minutenlang inne.

War dies der Weg wie alles enden sollte? War sie gleich eine von vielen, die den Weg von der Brücke nie zurück geschafft hatten? Ihr Leben war ihr nie wichtig. Es war alles andere als schön. Doch immer und immer wieder rappelte sie sich erneut auf und besiegte ihren schwachen Verstand. Wollte sie zu den anderen auf dem Grund der Dunkelheit dazugehören? Was trieb sie nur hierher? Tränen kullerten ihre zerkratzten Wangen herunter. Das pechschwarze Haar kämte sie mit ihren Finger zurück. Ihre Pupillen fixierten die Sterne, um nicht noch mehr Tränen zu vergießen. Sie war dafür nicht bereit. Ihr Herz wollte leben. Sie wollte leben. Sie wollte immer Kinder haben, sie groß ziehen und ihnen beim Spielen vom Fenster aus winken.

Langsam krallte sie sich wieder am kalten Eisen fest. Ihre Lippen schmeckten salzig. Mit ihrem Ärmel wischte sie sich ihr Gesicht sauber. Vorsichtig trat sie von der unteren Geländehalterung herunter und hatte wieder festen Boden aus Stein unter sich. Die Lichter der Autos verformten sich wieder zu langen Schweifen und glitten durch die Dunkelheit der Nacht. Zum ersten Mal seit langer Zeit bekam sie ein Lächeln zustande. Sie wollte leben, einfach nur leben und nicht mehr feige handeln. Sie wollte ein neues Leben beginnen, so richtig bei Null anfangen. All diese Gedanken lösten bei Ihr pure Glückshormone aus. Sie wollte leben, sie wollte laufen. Einen Schritt vor den anderen und schon lief sie bis ans Brückenende herunter, weg vom Ort der Traurigkeit und des Todes. Freudestränen kullerten ihre Wangen entlang und verpufften in ihrem Windschatten.

Völlig energisch und voll von Lebensfreude rannte sie über die Straße. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen, als sich das grelle und laute Licht schlagartig näherte. Und dann wurde es dunkel.

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Hey du, danke, dass du da bist!

Hey du, also ich weiß es ist etwas unfreundlich um diese Uhrzeit so reinzuplatzen, aber ich musste einfach mit dir reden. Seit längerem schon liegen mir diese Worte auf der Zunge und irgendwie habe ich jetzt das Gefühl, dass in diesem Moment der richtige Augenblick ist, dir zu sagen, was mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf geht. So, here it goes:

Ich wollte eigentlich nur Danke sagen. Du glaubst mir nicht? War klar! Aber lass mich, mich erklären. Ich weiß, ich weiß… in letzter Zeit harmonieren wir erstaunlich gut und sind auch sonst mit unserer Beziehung soweit im Reinen, aber das war ja, bei Gott, nicht immer so. Die Zeiten die wir durchlebten waren oftmals Sturm gepeitscht und undurchsichtig. Zu oft standen wir Seite an Seite um die Probleme der Welt gemeinsam von uns abzuwenden nur um kurz danach wieder im unbändigen Hass aufeinander los zu gehen und darauf zu hoffen der Andere würde sich einfach verziehen. Für immer.

Haben wir beide nicht. Wie auch. Wie sind von einander abhängig. Immer. Tag für Tag. Monat für Monat. Jahr für Jahr. Wir sind wie Romeo und Julia. Sonne und Mond. George und Dick. Trotz der Streits, sei es wegen irgendwelchen Frauen die einer von uns beiden attraktiv fand, wegen unserer Eltern die wenn überhaupt nur mit mir geredet haben oder wegen meiner Freunde die sich oft genug über uns beide lustig gemacht haben, trotz all dieser Anschläge auf uns oder unsere Beziehung haben wir immer wieder zu einander gefunden.

Ich habe lange Zeit darüber nach gedacht dir das zu sagen. Ich hab Nächte lang meinen Schlaf damit vertan unsere Beziehung, unsere Abhängigkeit und unsere unerschütterliche Freundschaft, aber auch unseren Hass, unseren manchmal schon mit Todesdrohungen erfüllten Hass zu verstehen. Aber es half alles nichts, ich kam zu keinem logischen Schluss. Aber dann, eines Nachts vor ein paar Tagen wurde es mir klar. Früher dachte ich wahre Liebe wäre eine Erfindung der Industrie um Schokolade zu verkaufen. Heute kenne ich die Wahrheit. Dich! Dich in deiner ganzen Größe.

Danke das es dich gibt Herz.

Dein Verstand.

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