Wo man steht

Im fahlen Licht des Mondes lag er auf den kalten Steinen im Innenhof und atmete langsam den Rauch seiner Zigarette aus. Die Totenstille um ihn herum nahm er gar nicht wahr. Seine Kopfhörer trennten ihn von jedwedem Kontakt zur Aussenwelt. Nicht das diese um diese Uhrzeit noch irgendwas zu bieten hätte. Die Stadt schlief schon tief und fest. Nur vereinzelt kauerten an irgendwelchen Tresen in irgendwelchen verrauchten Kneipen noch die gestrandeten Seelen all jener, die wie er keinen Grund hatten eher als unbedingt nötig, nach Hause zu gehen.

Da er kein Geld mehr hatte um seine Probleme in Flüssigkeit aufzulösen, lief er ziellos durch die leeren Gassen und badete im Licht der Straßenlaternen. Dem Solarium für die Seele. Letztendlich landetet er im Vorgarten des Mehrfamilienhauses seiner WG, um dann irgendwann in den Innenhof umzuziehen, da der Rasen im Vorgarten vom Tau ganz nass war. Dort lag er dann also und rauchte. Vermutlich wollte er einfach Nachdenken und diese Steine im Innenhof schienen ihm dafür kein schlechter Platz zu sein. Nachdenken ohne nachzudenken. Die Welt Welt sein lassen und versuchen das eigene Leben zu verstehen.

Das Problem war nur, er wusste selbst nicht einmal genau warum er eigentlich dort lag, wo er lag. Er hatte einfach noch nicht in sein Zimmer gewollt. Dort war der Abend dann wirklich endgültig vorbei. Hier draußen, auf den kalten Steinen, alleine mit sich und der ruhigen, melodramatischen Musik, bestand immer noch die Möglichkeit einer Änderung der momentanen Situation. Nicht das er hätte sagen können was er würde ändern wollen, aber wenn die Änderung kommen würde, er würde sie annehmen. Es war einfach ein Gefühl in ihm, das ihm sagte, das Hier und Jetzt sei war. Wobei ihm falsch nicht als das richtige Wort erschien um die Situation zu beschreiben. Ungünstig passte wohl besser, halt einfach nicht mehr so wie es gerade war.

So blieb er liegen und überlegte wie lange er wohl noch Zeit hatte, bevor die Müllabfuhr kommen würde und die großen schwarzen Tonnen von der anderen Seite des Hofes abholen würde. Wie lange er die Nacht noch als Zuflucht aus den nicht definierbaren negativen Gedanken nutzen konnte, bevor ihn die Realität, die Welt und der nächste Tag wieder zurück bringen würden. Zurück war irgendwie das richtige Stichwort, aber eigentlich wollte er nicht zurück. Er wollte nach vorne. In die Zukunft. Dort wo das Leben wieder etwas bieten würde. Aber wohin das wusste er nicht. Wie soll man auch wissen wohin man will, wenn man nicht weiß wo man steht.

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Spuren im Schnee

Einen Fuß locker aus das Knie des anderen Bein’s gelegt, sitze ich schweigend in der Nacht. Die Kopfhörer über meiner Mütze wechseln sich damit ab, mit dem Soundtrack von Ziemlich beste Freunde und meiner MiesePrieseSongs-Playlist die kalte Nacht zu durchbrechen. Die Luft vor meinen Augen kristallisiert sich mit jedem Atemzug. Wie ein Kaleidoskop bricht sich das Licht des Mondes in meinem Atem und taucht den Boden vor mir in ein Lichtspektakel wie in 1001 Nacht. Um mich herum fällt kleiner, weicher Pulverschnee. Nicht viel. Gerade genug um im Licht des Mondes und der Straßenlaternen zu tanzen. Der Platz vor mir ist weiß. Keine Spuren im Schnee. Kein Mensch hat bisher die Schneefläche betreten. Es hat etwas erhabenes in diesen Momenten anwesend zu sein. Zu sehen wie schnell die Natur etwas verschwinden lassen kann. Vergänglichkeit im Zeitraffer. Wo vor zehn Minuten noch ein Platz war ist jetzt ein kahle, kalte, Zentimeter hohe Decke aus feinsten Eiskristallen.

Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue in den Himmel. Die hellsten Sterne funkeln selbst im Licht der Laternen noch in diesem von Wolken zerrissenen Stadthimmel. Die Eiskristalle des Schnees bleiben in meinen Augenlidern hängen. Die Zigarette in meiner Hand brennt immer weiter ab. Längst vergessen. Ich konzentriere mich eh nicht mehr auf meine Gedanken. Sie fliegen wie Eintagsfliegen durch meinen Kopf. Alle wollen das ich sie wahr nehme. Sie verbinde. Sie mir einverleibe. Mich ihnen zuwende. Sie zu Ende denke. Ich kann momentan aber eh keinen klaren Gedanken fassen. Zu verwirrend ist mein Leben in diesen Tagen. Das einzige was immer wieder aufblitzt, wenn ich blinzele sind die Bilder. Bilder von ihr. Bilder von der Heimat. Bilder meiner Geschichte. Sie bleiben auf der Netzhaut hängen und projizieren sich in die Schneeflocken.

Während Maeckes mich fragt ob ich noch weiß wie es war, sehe ich sie lachend vor mir sitzen. In dem kleinen Straßencafe. Direkt um die Ecke ihrer Wohnung. In der Heimat. Ich blinzele. Der verschneite Garten meiner Eltern flackert in den Schneeflocken über meinen Augen. Grinsend und ganz mit Schnee bedeckt kommt unser Hund neben der Katze aus der Hecke und schüttelt sich. Blinzeln. Jahre später. Der gleiche Garten. Neuer Schnee. Diesmal kommt nur noch unsere Katze aus der Hecke. Vergänglichkeit der Natur. Sie wiederholt sich immer wieder in unserem Leben. Auf eine andere Art und Weise. Blinzeln. Ich sehe mich selbst. Neben ihr. Auf derselben Bank. Es ist Spätsommer. Wir lachen wieder. Erstaunlich wie oft wir eigentlich gelacht haben. Blinzeln. Der Nachthimmel über mir. Ich muss meine Augen schließen. Die Zigarette ist längst aus. Ich werfe sie in den Mülleimer neben mir und stehe auf.

Wo vorher noch eine unberührte Schneedecke war, werden für kurze Zeit meine Fußspuren zu sehen sein. Für einen kurzen Moment verschmelzen meine Schuhe mit dem Schnee unter ihnen. Formen ihn. Verändern ihn. Dann gehen sie weiter und lassen ihn zurück. Verändert. Verformt. Aber nicht vergessen. Ein Teil des Schnees bleibt an ihnen kleben und verändert ihre Farbe. Für immer. Ich atme ein letztes Mal durch und setzte langsam und behutsam einen Schritt vor den anderen. Ich möchte soviel wie möglich von der wunderschönen Schneedecke erhalten. kultivieren. Damit ein anderer dieses Wunderwerk bestaunen kann. Meine Spuren im Schnee werden schon bald im stärker gewordenen Schneefall verblassen. Aber trotzdem werden sie noch da sein. Unter der Obersten Schicht. Für immer. Wie der Schnee an meinen Schuhen. Hoffe ich.

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He don’t want the world

Die schwarzen Striche vor seinen Augen bestätigten was in seinen Gedanken schon lange Realität war. Die Zeit verging zu schnell. Sieben, acht, neun Monate. Er konnte es selbst nicht mehr genau sagen wie lange es nun wirklich her war. Die Zeit jedoch in der die Tage einzigartig waren, war schon länger her als die letzte Jahreszeit.

Partys, Cocktails, Bier und tschechische Billigzigaretten hatten seine wenigen Stunden die er pro Tag in einer Art Wachkoma verbrachte in ein gleichmäßiges, schummriges Dunkelgrau gezeichnet. Zwischenmenschliche Interaktion beschränkte sich auf die Dame an der Supermarktkasse, den Pizzaboten und den Kioskbesitzer. Alle anderen Kontakte pflegte er schon lange nicht mehr. Keiner verstand ihn. Seine Freunde hatten damals noch hin und wieder angerufen und gefragt wie es ihm geht und ihn probiert aufzubauen. Heute riefen auch sie nicht mehr an.

Der einzige konstante Begleiter war sein alter Walkman. Die Kassetten die er hörte hatte er in mühseliger Arbeit übertragen. Jedes der Lieder auf den fünf Kassetten die er immer bei sich trug, war über Wochen hin weg ausgesucht worden und spendeten ihm immer wieder diese kleinen drei Minuten Wunder und Freiheiten von denen die Toten Hosen sooft redeten. In diesen Minuten konnte er kurzzeitig die Depressionen, die Zigaretten im Aschenbecher und auch die zittrige, aufgerissene Hand vergessen die schon wieder nach der halb vollen Doppelkornflasche griff.

Als die Strahlen der Herbstsonne zum letzten Mal an diesem Tag probierten den grauen Schleier vor seinen Lidern zu durchbrechen, überkam ihn eine Gänsehaut und wie elektrisiert hob er seine zittrige Hand. Mit einer Wucht die er sich selbst schon lange nicht mehr zutraute, schmetterte er die halb volle Flasche gegen die Wand, stand auf und ging in sein Schlafzimmer. Seine Pillendose stand dort auf dem Nachttisch. Während er sich aufs Bett legte, umspielte seine Lippen zum ersten Mal seit Ewigkeiten ein kleines süffisantes Grinsen.  Würde man ihn vermissen. Er wusste es nicht. Aber er hatte auch nie die Welt gewollt. Sie ihn scheinbar auch nicht.

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You drive along every day

Das monotone Brummen unter seinem Hintern veränderte sich in ein angenehmes Vibrieren. Während die Musik in seinen Ohren von einem pumpenden Bass zu einem schnellen Gitarrenstück wechselte setzte sich der Bus langsam in Bewegung. Ein Blick auf die Uhr. Dreißig Minuten noch. Er rutschte etwas tiefer in den Sitz und machte es sich bequem. So bequem wie es halt ging in einem Linienbus. Die Stadt zog wie ein zu lang gezogenes Kaugummi an seinen Augen vorbei. Vereinzelt blieben seine Blicke wahllos an Bäumen, Autos oder Häusern hängen.

Der Regen, die Wärme im Inneren und die Kälte außerhalb des Busses jedoch verhinderten einen allzu genauen Blick auf die Welt um ihn herum. Tief in Gedanken versunken fuhr er durch die Stadt. Er ruckte kurz nach vorne.  Wieder eine rote Ampel. Im gleichen Augenblick sah er sie. Verpackt in einen dicken Pelzmantel um sich gegen die nasse Dezemberkälte zu schützen stand sie an der Straße und wartete wohl genauso wie der Bus auf die nächste Grünphase. Ob ihr Anblick oder das abrupte Bremsen des Busfahrers für die Rückkehr in die Wirklichkeit verantwortlich war, würde er später nicht mehr 100%ig sagen können.

Mit einem weiteren Ruck fuhr der Bus an. Die Fußgängerampel blieb rot. Langsam bog der Bus um die Kurve. Schritt für Schritt gab ihm die Welt den Blick auf ihr Gesicht frei. Blitzschnell hatte er die beschlagene Scheibe gesäubert um sie besser sehen zu können. Die mittellangen dunkelbraunen Haare waren ihm bereits an der Ampel aufgefallen. Endlich konnte er ihr Gesicht im Portrait sehen. Er verlor sich fast ihn ihren Augen. In ihren wunderbaren braunen Augen. Die Zeit schien still zu stehen. Es gab nur noch sie. Ihre Augen. Ihr Gesicht. Ihre Ausstrahlung. Und ihn. Ihre Blicke kreuzten sich und mit einem verschmitzten Lächeln verschwand sie aus seinem Blickfeld. Instinktiv drückte er die Stoptaste. Hoffte auf eine Notbremsung.

Der Bus fuhr weiter. Er drehte sich um. Allerdings konnte er sie nicht mehr sehen, der Rest des Busses nahm ihm die Sicht. Er fluchte innerlich. Die nächste Haltestelle war noch fünf Minuten entfernt. Die Musik wechselte zu einem ruhigen Klavierstück. Langsam sank er zurück in seinen Sitz. Ein weiterer Blick auf die Uhr. Zwanzig Minuten noch. Als das monotone Brummen an der nächsten Haltestelle wieder einsetzte war er bereits wieder in seiner eigenen Welt und ließ die Stadt ohne besonderes Interesse an sich vorbeiziehen.

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