Kurzgeschichten

Während die Glastür hinter ihm langsam ins Schloss klickte, suchten seine Augen nach einem geeigneten Sitzplatz. Nicht zu verdeckt, aber auch nicht zu offen. Ihr Lieblingsplatz war noch frei. Hinten links unter dem Dali Bild. Nicht wegen der Geborgenheit, sondern weil sie Dali mochte. Er setzte sich auf die Bank unter die allseits bekannte Zeitinterpretation und bot ihr somit die Möglichkeit, wenn er mal wieder schwadronierte oder wenn sie gerade einfach nicht reden wollte, das Bild zu studieren. Ein kurzer Blick auf seinen Unterarm sagte ihm, dass er zu früh war. Auf den beim Betreten des Cafes bestellten Milchkaffee wartend, las er wie jeder Mensch ohne konkrete Aufgabe die Benachrichtigungen seines Smartphones.

Keine besonderen Vorkommnisse: Twitter hier. Instagram da. Ein paar belanglose Whatsapp Chats. Lustlos scrollte er sich durch seinen Facebookfeed. Stefanie war jetzt verheiratet. Hochzeit auf Schloss Bückeburg und Flitterwochen auf Lanzarote. Zum zweiten Mal. Können die zweiten Flitterwochen so toll sein wie die ersten, wenn man im gleichen Hotel wohnt? Am besten noch im gleichen Zimmer. „Oh der Schreibtisch quietscht immer noch …“, er musste bei dem Gedanken grinsen. Steffi. Sie war schon immer etwas anders gewesen als der Rest. Durchgeknallt und seine erste große Liebe. Aber wie es mit fast allen ersten Dingen ist. Irgendwann sind sie weg. Meistens bevor man sie richtig hatte. So auch bei Steffi. Er hatte ihr immer erzählt, er wolle mal ein großer Autor werden. „Arbeitslos“, hatte sie dann immer geantwortet. Nach zwei Jahren hatte er keine Lust mehr gehabt auf den immer gleichen Witz und war gegangen. Hatte nur einen Zettel geschrieben: Bin weg. Schöne Grüße. Quatsch. Mein Liebes – Fick dich. Der Autor. Er grinste immer noch. Wie einige Jahre aus Hass auf einmal Humor machen können.

Mittlerweile dampfte der zweite Milchkaffee neben ihm auf dem viel zu eckigen Tisch. Wer baut eigentlich Tische im Oktagon-Format? Ständig stieß er sich eine der Kanten in seinen Magen oder einen der beiden Unterarme. Gerade als er die Frage bei Quora posten wollte, betrat sie das Cafe. Schlichtes Top, weite Sommerhose, Chucks. Er winkte ihr leicht zu, um sich bemerkbar zu machen. Sie grinste und warf ihre Tasche und Jacke auf den Stuhl neben ihm. „Du, ich muss mal eben … Aber ich hab die neue Neon dabei. Ließ dir mal die 30 Fragen durch.“ Er schaute etwas verdutzt. Während sie schon wieder weg war, nahm er die Zeitschrift aus ihrer Tasche und schlug den Artikel auf. Erste Frage: „Wie habt ihr euch kennengelernt?“. Sein Finger auf der Frage liegend hob er leicht den Kopf und starte gedankenverloren in die Leere des Cafés.

Ob er noch wusste, wie sie sich kennengelernt hatten. Natürlich. Kurz nachdem Katrin ihm eröffnet hatte, dass es an ihr liege und nicht an ihm. Katrin. Noch heute hatte er bei dem Gedanken an sie ein Kantholz im Rachen und musste schlucken. Dieser Sommer. Dieser eine Sommer, den wohl jeder Student in seiner Unilaufbahn hatte. Perfektion gepaart mit billigem Schnaps und von Sternen durchtränkten Nachthimmeln auf Wiesen und Feldern. Von Zeit zu Zeit ertappte er sich dabei, wie er noch immer an sie dachte. Er schluckte und starte auf die Menschen vor dem Fenster neben dem Eingang des Cafes. Emsig suchten sie nach Geschenken für ihre Liebsten. Morgen war Valentinstag. Sie war die erste und letzte Person gewesen, der er etwas zum Valentinstag geschenkt hatte. Schmuck. Was sie mit einem „Etwas Unpersönlicheres hättest du nicht finden können, oder?“ kommentierte. Im Kopf warf er ihr immer noch 150 1-Euro-Münzen einzeln mit voller Wucht in ihr wunderschönes Gesicht.

„Überlegst du etwa immer noch?“, fragend stand sie vor ihm und sah seinen Finger auf der Frage liegen. Überlegen? Er erinnerte sich. In ihrem dunkelgrauen Kleid hatte er sie das erste Mal gesehen. Damals. Auf der Decke im Park. Zwischen Freddi und Sabine. Andy hatte ihn eingeladen auf eine, Jahre später von Kraftklub so schön besungene, undefinierte Anzahl von Schnäpsen. Man hatte sich schon länger nicht gesehen und das sechste Semester musste gebührend beendet werden. Pfeffi. Weißwein. Vereinzelte eine halb volle Flasche Pils. Die Diskussionen drehten sich um Klausuren. Vergangene Bekanntschaften. Alkoholeskapaden und den Wunsch unbedingt in diesem Sommer ins Freibad einzubrechen. Sie war relativ ruhig gewesen. Hatte immer wieder an den Etiketten ihrer Flaschen genibbelt und der Musik aus dem nahegelegenen Pub zugehört. Unzählige Pfeffis später, als es Zeit wurde zu gehen und im Schutze der nur vereinzelt funktionierenden Laternen, flüsterte sie ihm bei der Verabschiedung ein leises „Freibad?“ ins Ohr. Schiefes Grinsen auf beiden Seiten. Sich überschlagende Gedanken. Ein leichtes Nicken. Vorfreude.

Vor dem Freibad stand leider schon die lokale Polizei und wies freundlich auf die Öffnungszeiten hin. Die Bestechung durch Pfeffi wollte auch nicht so wirklich zünden. Sie beschlossen, dass eine Badewanne ja auch nur eine verkleinerte Form eines Freibads ist und schwankten Arm in Arm in Richtung ihrer Wohnung. Dort angekommen schafften sie es aber nur bis auf den Balkon. Das Bad war belegt. Über die Dächer der Stadt und in die langsam aufgehende Sonne blickend, unterhielten sie sich bis die Stadt schon lange wieder wach war. Das erste was er nach dem Wachwerden sah, war ihr Gesicht: schief auf dem Stuhl hängend und leicht grinsend. Er war sofort verliebt gewesen.

Während er immer noch gedankenverloren irgendwo zwischen Zapfhähnen und Kellnerin in die Leere des Lokales blickte und sie ihm sanft in die Wange stupste, brachte die Kellnerin die überfälligen Gin-Tonics. Vermutlich eher die alten, eben ohne Gurke Gelieferten, nochmal. Diesmal allerdings mit Gurke. Erfreut hob sie zum Anstoßen ihr Glas „Auf unser 5-Jähriges!“ Die Gedanken beiseite schiebend begann er zu grinsen und hob ebenfalls sein Glas: „Here’s looking at you, kid.“

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Zwischen den Kastanienbäumen

Ich kenne dich schon sehr lange. Eigentlich schon immer. Wenn man es ganz genau  nimmt, mein Leben lang. Wir haben uns oft gesehen. Dann immer seltener. Und in letzter Zeit beinahe jeden Moment, der blieb. Oder ich mir die Zeit nehmen wollte. Doch an diesem mit grauen Schleierwolken behangenen Morgen, als die Nahen und die Fernen, die Vertrauten und die Fremden zu einer kleinen Lichtung am Rande des Waldes kamen, warst du nicht bei ihnen. Sie schwatzen wild durcheinander. Von alten Zeiten und von neuen Möglichkeiten. Sie redeten unaufhörlich. Fast unverschämt laut und grell lachten und weinten, kicherten und jammerten sie. Ich wartete noch einen Augenblick bevor ich ihnen den Weg hinunter in den dunklen Wald folgte. Vielleicht würdest du ja doch noch kommen.

An der Kreuzung zwischen den drei Kastanienbäumen blieben wir stehen. Ein staatlicher Mann trat aus unserem Kreis. Ich lauschte seiner wohlklingenden Stimme. Er sprach von den Weisheiten der alten Griechen, so wie ich es ihm aufgetragen hatte. Ein braver Mann. Immerhin hatte ich ihm ja auch fast eine Monatsmiete dafür bezahlt, dass er mir die Offenbarung des Messias vom Halse hielt. Die ketzerische Hexe wäre da bei weitem nicht so folgsam gewesen. Sie hätte ich ja auch mit meinem Seelenheil bezahlen müssen, was mir dann doch als ein zu hoher Preis erschien. Er musste wohl ab und zu diese Art zu sprechen vor einem Spiegel geübt haben. Diese Art…bedacht und ehrfürchtig. Auch wenn er hier und da der korrekten Verwendung des Plurals nicht mächtig war. Kontrolliert bedeutungsschwer klang ein jedes seiner Worte. Gleichzeitig wohl teilnahmslos, einstudiert und leer.

Er hielt einen Moment inne und starrte mich an. Da ich glaubte zu wissen was er von mir erwartete, ging ich die wenigen Schritte auf ihn zu. Er sah mich wohlwollend an und reichte mir eine weiße Rose. Wie aus weiter, weiter Ferne drang seine sanfte Stimme an mein Ohr: „Am Anfang wenn alles beginnt, wenn wir geboren werden, dann sind wir fremd in dieser Art von Existenz. Von der sorgenlosen Ewigkeit umhüllt fallen wir aus dem Kreis in die zerfließende Endlichkeit. Eine Weile wandeln wir in dieser Zeit, bis wir letztendlich wieder zerfließen in der Endlichkeit und zurückkehren in die Ewigkeit.“ Die Rose glitt mir aus der Hand und fiel hinunter in die Dunkelheit. Und ich wusste du würdest nicht mehr kommen.

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Östlich von Herne

Amsterdam im Neonlicht

Damals zum Abschied hattest du gesagt, dass es so nicht klappen kann. Wir wären zu jung und du hättest noch so viel vor. Was das war und warum du das alles nicht mit mir machen könntest – die Antwort bist du mir bis heute schuldig. Du wolltest erstmal nachdenken und dich selbst finden. Dabei hatte ich dir das Kreuz für das Ziel der Reise riesengroß auf mein Herz tätowiert. Hatte dir die Brotkrummen direkt vor die Füße geworfen, aber gesehen hast du sie nie. Bist lediglich drüber gelaufen und hattest immer wieder nach dem richtigen Weg durch deine Studienzeit gesucht.

Ankommen. Dich selbst finden. Zwei Aussagen, die dein Paradigma, dein Pamphlet waren. Du mantrarisiertest sie zum Exzess. Du warst auf der Suche nach dir selbst, aber suchtest doch nur in der dir scheinbaren Tristesse der anderen um dich herum. Tristesse. Ein Wort, das du nur zu gerne verwendet hast. Für die Stadt und die Menschen um dich herum. Du wolltest Sex and the City auf dem Set eines Rosamunde Pilcher Films. Die Stadt wurde dir zu kleingeistig oder du der Stadt zu oberflächlich. Vermutlich war es eine Mischung aus beidem. Du tauschtest Freundschaften gegen Bekanntschaften und tiefe Gespräche gegen den Smalltalk an der Bar.

Immer wieder stand ich dir zur Seite. Hoffte, dass du erkennen würdest, was du mir bedeutetest. Kümmerte mich um dich. Deine Seele. Deine Gedanken. Deine Lust zu Leben. Eigentlich immer – aber ganz besonders dann, wenn dir die Neonlichter keinen Halt mehr gaben. Der Alkohol verflogen war. Und die kleinen weißen Bahnen abgefahren. Jedes Mal. Jedes verdammte Mal flickte ich dich wieder zusammen. Nahm dir die kruden Gedanken ab. Und das Versprechen, dass du dich bessern würdest. Dann gingst du wieder. Ein Kuss auf die Wange. Ein gehauchtes bis bald. In meinem Kopf ein komplettes Leben ausgemalt. In deinem bereits schon wieder die Suche nach der nächsten Party.

Nicht, dass dir die Party das Geringste gebracht hätte. Sie diente einzig deinem verzweifelten Versuch deine Existenz, dein Überleben, vor dir selbst zu rechtfertigen. Du bekämpftest deine innere Leere mit einer anonymen Masse um dich herum. Versuchtest soviel wie möglich von der Masse, in den wenigen Stunden der Nacht, in denen du bei Besinnung warst, in dir aufzunehmen. Du konntest es dir und den wenigen Menschen, die dir noch geblieben waren, nicht eingestehen, dass du dich auf deinem Weg hoffnungslos verrannt hattest. Das Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit war für dich schlimmer, als das eventuelle Platzen der durch Pillen und Puder erzeugten Seifenblase in deinem Kopf.

Verlust und Einsamkeit, hervorgerufen durch eigene Fehler, manifestiert sich nur zu oft in einem blinden Hass auf alles um einen herum. Ein Hass der oft genug wiederholt in der eigenen kleinen Welt zur Wahrheit wird und eine fast unüberwindbare Distanz, zu jeden der einem helfen könnte, aufbaut. So wurde auch bei dir erst der Kontakt mit den anderen und dann irgendwann auch der zwischen uns weniger. Bis du dich gar nicht mehr gemeldet hast und man dich nur noch mit zuckenden Augen früh morgens auf den Tanzflächen dieser Stadt sah.

Mittlerweile wohnst du wohl irgendwo östlich von Herne. Wurde mir zumindest zugetragen. Aber irgendwann wirst du mir die Geschichte dazu noch erzählen. Denn auch östlich von Herne gehen irgendwann die Neonlichter aus, wird der Alkohol alle und es gibt keine kleinen weißen Bahnen mehr. Dann wirst du dich wieder melden und ich, obwohl ich es besser weiß, werde für dich da sein. Auch wenn du danach wieder weglaufen wirst. Aber wenn ich ehrlich bin, keiner läuft so schön davon wie du.

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Tränen

Cover Foto Tränen. Mensch im Regen im Abendlicht der Stadt.

Tränen sind viel mehr
Als nur die Tropfen auf dem heißen Stein
Tränen sind der Anfang
Und das Ende vom alleine sein

Tränen sind die Chance
Und die Flucht aus der Befangenheit
Tränen wecken Ängste
Und verfluchen die Vergangenheit

Tränen sind der Schlüssel
Auf der Suche nach dem Eigenheim
Tränen sind dein Zuspruch
Und die Zuflucht in der Einsamkeit

Tränen sind die Lupe
Auf dem kleingedruckten Ich
Tränen sind die Suche
Nach der Narbe im Gesicht

Tränen bringen Farben
In die Tage ohne Licht
Tränen sind der Fahrplan
Auf der Fahrbahn ohne Sicht

Tränen sind die Sprache
Die du manchmal unterdrückst
Tränen sind die Fragen
Und die Antwort auf dein Glück

Tränen sind der Ausdruck
Deiner aufgestauten Wut
Tränen sind vergänglich
Und verlaufen in der Flut

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Ambivalenz

Irgendwie doch ja
Und auch irgendwie nur nein
Irgendwie ganz sicher
Und auch irgendwie kann sein

Irgendwie dazwischen
Und dazwischen mittendrin
Irgendwie gelogen
Und auch irgendwie mit Sinn

Irgendwie ganz simpel
Und auch irgendwie komplex
Irgendwie verzaubert
Und doch irgendwie verhext

Irgendwie authentisch
Und auch irgendwie verstellt
Irgendwie die anderen
Und auch irgendwie du selbst

Irgendwie noch mehr davon
Und irgendwie genug
Irgendwie bescheuert
Und doch irgendwie auch klug

Irgendwie besessen
Und doch irgendwie auch frei
Irgendwie so treffend
Und auch irgendwie vorbei

Irgendwie am suchen
Und auch irgendwie gefunden
Irgendwie ganz oben
Und doch irgendwie auch unten

Irgendwie noch immer nicht
Und irgendwie schon längst
Irgendwie ganz anders
Und dann anders als du denkst

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Fühlen, Wissen und ein ganzes Universum

Wir trafen uns an jenem Ort, an dem wir so viele Male gewesen waren. Dort, wo die zwei verschlungenen Feldwege unverhofft aufeinander treffen und die aus Holzstämmen gezimmerte Bank eines jeden Wanderers Wunsch nach Erholung genüge tut. Es war kühl geworden. Der Herbst lag in seinen letzten Atemzügen. Karger Raureif auf den Ästen der stattlichen Laubbäume kündigte verheißungsvoll die Herrschaftsübernahme Ullers an.

Du hast bereits auf mich gewartet. Vorrausschauend und fürsorglich – was dein Wesen jeher so besonders machte – hast du bereits die Stelle neben dir von Blättern und kleinen Zweigen befreit, so dass ich mich ohne Scheu setzen konnte. Da waren wir, genauso so wie wir es seither und immer waren. Ich zögerte einen Moment ehe ich zu reden begann – überall das, was ich mir vorgenommen hatte dir zu sagen.

Ich hörte meine Worte und während ich sie sprach, fragte ich mich, was sie eigentlich zu bedeuten hatten. `Was verdammt sollte ich nur sagen?` ,dachte ich in meiner Verzweiflung über das was ich jetzt tuen musste. `Wenn irgendjemand auf dieser dich immer wieder in die Knie zwingende Welt mir das beantworten könnte, dann sagt es mir jetzt und hier!‘ ,schickte ich heimlich mein Stoßgebet gen Himmel in der Hoffnung die Wolken würden sich auftun und mir irgendeinen Beistand herbeizaubern.

Ich schaute dir in die Augen und setzte meine Rede fort – und die Diskrepanz zwischen dem was ich fühlte und was ich zu dir sagte, schien mir in der Unendlichkeit zu verschwinden. Ein jedes Mal die gleichen Metaphern und Analogien, die dir nicht schaden, aber nie vollständig der Realität entsprechen konnten. Was hielt mich davon ab die Wahrheit auszusprechen? Vielleicht das Wissen um des Wissens willens, dass ich weiß, dass ich damit allein da stehe. Nicht, weil ich du nicht ähnlich empfinden könntest. Nicht, weil du nicht Anteil daran nehmen wollen würdest. Sondern, weil du niemals das Gleiche fühlen werden wirst. Weil ich nun mal ich und du nun mal du bist und das was zwischen uns ist, nicht viel mehr ist als das, was wir denken vom anderen zu wissen.

Einen Augenblick der Stille folgte, der mir als das Ehrlichste und Reinste zwischen uns erschien und ich ihn mehr als sehnlichst für immer festhalten wollte. In der Annahme der Erwartung einer Antwort hast du wohlwollend und behutsam nach meiner Hand gegriffen und mir mit sanfter Stimme versichert: „Ich weiß wie du dich fühlst. Ich weiß das, weil ich das Gleiche empfinde“
Doch hier ist der Punkt an dem alles endet und alles beginnt. An dem wir uns immer weiter voneinander entfernen werden. Wissen, dass man fühlt, was der andere fühlt. Welche Lächerlichkeit in diesen Worten steckt. Wie argwöhnisch er mich verspottet dieser ach so bedeutungsschwere Satz, den du eben ausgesprochen hast. Denn mein Schatz, auf was ich dich hinweisen muss – wie ein Lehrer seinen Schüler, dass er aufzuzeigen hat bevor er spricht – dass man Wissen niemals fühlen kann und Gefühle niemals wissen. Deshalb weiß ich, dass du nicht wissen kannst, was ich fühle, weil dein Wissen nur eine Vorstellung ist von etwas, was für dich nie erreichbar sein wird.

Schau dich um – nur mal einen Augenblick – und vergegenwärtige dir, wie lange das Menschen schon versuchen, andere fühlen zu lassen was sie selbst fühlen. Musik, Kunst, Lyrik, die wir erschufen einzig allein von dem Wunsch getrieben, dass es irgendwann möglich seien könnte. Irgendwann dieses Ziel erreichen könnten, der Welt oder nur einen einzigen fühlen zu lassen, was man selbst fühlt und sich dann endlich ein Konsens finden lässt über das was wirklich zählt und wir alle wissen was zu tun ist. Nein – wie ich selbst eben in die Falle getappt bin – fühlen was zu tun ist.
Du wurdest still und sahst mich an, wartend auf meine Reaktion. Ich stand auf und sprach: „Es ist schön zu wissen, dass da jemand ist, der weiß wie man sich fühlt.“ Und nahtlos knüpfte ich mit diesen Worten an die größte Lüge des menschlichen Daseins an. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht küsste ich dich auf die Stirn und verabschiedete mich.

Mein Lächeln war dein Friede, weil du nun glaubtest zu wissen, dass es mir gut gehen würde. Doch was ich damit ausdrückte war mein Spott gegenüber dem, was ich eben gesagt hatte. Ich spürte mehr als jemals zuvor, dass zwischen dem was ich weiß und dem was ich fühle mehr als ein ganzes Universum liegt. Hinfällig der Dualismus von Gut und Böse, von Schwarz und Weiß, von Himmel und Hölle – all diese sind vereinbar, mischbar und fassbar. Doch der divergierende Kontrast zwischen Wissen und Fühlen stellt sich als unvereinbare Größe vor all die Zustände meiner Existenz in denen ich mir so viel mehr Worte gewünscht hätte um sie zu beschreiben und aus meiner Ohnmacht erwachend feststellen musste, dass ich dessen niemals fähig sein werde.

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